Prof. Dr. Thomas Willner ist Professor für Verfahrenstechnik an der HAW Hamburg und spezialisiert auf die Erforschung und Entwicklung nachhaltiger Kraftstoffe. Im Interview mit Mobil in Deutschland e.V. (Dez. 2024) gibt der Wissenschaftler Einblicke in die Welt von HVO und E-Fuels und gibt seine Einschätzung zur Mobilität der Zukunft ab.
1. Was ist für Sie die Mobilität bzw. der Antrieb der Zukunft?
Der Antrieb der Zukunft muss die Klimaschutzkriterien für eine schnelle und weltweit umsetzbare CO2-Reduktion erfüllen, da uns nur noch wenig Zeit für die Einhaltung der angestrebten Erwärmungsziele bleibt und Klimaschutz nur global funktionieren kann. Diese Kriterien kann derzeit nur der Verbrennungsmotor in Verbindung mit klimaneutralen Kraftstoffen erfüllen. Die wichtigsten Gründe: Der Klimaschutzhebel ist bei den Verbrennungsmotoren wesentlich größer als bei batteriebetriebenen Elektroautos (BEV), da global rund 99 Prozent aller Kraftfahrzeuge mit Verbrennungsmotoren ausgerüstet sind und deren Anzahl immer noch schneller steigt als die Anzahl von BEV. Außerdem würde die globale Umstellung auf BEV für den Klimaschutz viel zu lange dauern und derzeit die CO2-Emissionen sogar erhöhen statt reduzieren, insbesondere durch den erhöhten Ressourcenaufwand beim Batteriebau und durch die Erhöhung des Kohlestromverbrauchs.
2. Sie haben ein Verfahren für die Erzeugung alternativer Kraftstoffe entwickelt. Was hat es damit auf sich?
Wir haben in Hamburg ein Verfahren entwickelt, Abfallstoffe wie z.B. Altfette oder Kunststoffabfälle umzuwandeln in klimaneutralen Erdölersatz, welcher mit geringem Aufwand u.a. zu alternativen Kraftstoffen aufbereitet werden kann. Dank der hohen Effizienz ist das Verfahren auch im dezentralen mittelständischen Betrieb am Ort des Abfallanfalls wirtschaftlich umsetzbar. Man braucht keine Großanlagen, die über weite Transportwege mit Rohstoffen versorgt werden müssen. Dieser Transportaufwand wird eingespart. Das Verfahren hat derzeit den Pilotmaßstab mit einer Verarbeitungskapazität von etwa 100 Jahrestonnen erreicht.
3. Nun ist ja Benzin der meistgenutzte Kraftstoff deutscher Autofahrer. Gibt es hier auch eine synthetische Alternative?

Ja, die Kraftstoffarten Benzin, Diesel und Kerosin (Flugkraftstoff) können alle synthetisch klimaneutral hergestellt werden. Die weltweit größten Produktionskapazitäten gibt es weltweit derzeit für alternativen Dieselkraftstoff in Form von HVO (Hydrotreated Vegetable Oils). Aber die Produktionskapazitäten für die anderen beiden Kraftstoffarten werden ebenfalls hochgefahren. Zum Beispiel gibt es in Spanien bereits erste Tankstellen, an denen alternatives Benzin angeboten wird.
4. Welche Vorteile hat HVO im Gegensatz zu fossilen Kraftstoffen?
HVO reduziert die CO2-Emissionen gegenüber fossilem Diesel heute schon um bis zu 90 Prozent. Wenn zukünftig grüner Wasserstoff zu dessen Herstellung verwendet werden sollte, wären 100 Prozent CO2-Einsparung oder sogar mehr erreichbar. Außerdem verbrennt HVO sauberer als fossiler Diesel. Die Abgase sind praktisch geruchsfrei und die Rußemissionen werden um bis zu 80 Prozent verringert. Dadurch werden die Abgasreinigungssysteme erheblich entlastet.
5. Kritiker nennen oft die fehlende Mengenverfügbarkeit und das geringe Potenzial von HVO. Was können Sie diesen entgegnen?
Die Kritik beruht auf dem Irrtum, dass alternative Kraftstoffe wie HVO nur auf Altfette und damit global auf ein jährliches Kraftstoff-Potenzial von nur etwa 50 Mio. t beschränkt wären. In Wirklichkeit ist das Potenzial viel größer. Hochrechnungen für 2040 ergeben für alle Varianten von alternativen Kraftstoffen eine Größenordnung von jährlich 1.000 Mio. t, wobei das HVO-Potenzial alleine unter Berücksichtigung von neuen nachhaltigen Quellen wie z.B. Jatrophaöl aus Wüstenrandgebieten und Algenölen bei 300 bis 400 Mio. t liegt.
6. Reichen die Mengen also neben dem automobilen Verkehr auch noch für den Einsatz im Luft- oder Schiffsverkehr?
Das bis 2040 realisierbare Gesamtpotenzial an alternativen Kraftstoffen von jährlich etwa 1.000 Mio. t ist erheblich und würde ausreichen, um bis dahin den globalen Bedarf von 50 Prozent des Straßenverkehrs oder 40 Prozent des gesamten Verkehrs einschließlich Luft- und Schifffahrt abzudecken. Die nach 2040 weiter hochfahrenden e-Fuels auf CO2-Basis, deren Potenzial prinzipiell praktisch unbegrenzt ist, wenn man Luft-CO2 im Kreislauf verwendet, können den Rest bis zur 100%igen Bedarfsdeckung liefern.
7. Haben Sie Erfahrungswerte zur Verträglichkeit von HVO-Kraftstoffen? Einige Hersteller halten sich ja mit Freigaben noch zurück.
In vielen Ländern der EU ist HVO100 (reiner HVO-Kraftstoff) schon viel länger als in Deutschland zugelassen und an Tankstellen erhältlich. Die Erfahrungen dort sind auch bei älteren Fahrzeugen sehr positiv. Ich selber fahre meinen 20 Jahre alten VW Golf, der schon über 300.000 km gelaufen ist, seit der HVO-Zulassung in Deutschland, also seit Mitte April dieses Jahres, problemlos mit HVO.
8. Welchen Rat/Empfehlung möchten Sie als Wissenschaftler an die Politik richten?
Die Politik sollte bei Klimaschutz und Energiewende endlich zur Technologieneutralität zurückkehren und lediglich wie vormals die Ziele und Randbedingungen auf Basis ehrlicher Berechnungen realer CO2-Reduktionen im globalen Gesamtsystem vorgeben. Nur dann kann sich Kreativität zielorientiert entfalten und sich die besten Technologien im Wettbewerb der Lösungsansätze für Klimaschutz und Energiewende zügig herauskristallisieren. Im Verkehrssektor muss die äußerst klimaschädliche EU-Flottengrenzwertregelung schnellstmöglich korrigiert werden, bei der Elektroautos mit Null-CO2-Emission bewertet werden, egal wieviel Kohlestrom im Spiel ist, und Autos mit Verbrennungsmotoren rein fossil bewertet werden, egal wie klimaneutral der Kraftstoffmix ist. Der dahinter stehende Ansatz, nur die Emissionen des Fahrzeuges selbst zu bewerten und nicht die Emissionen des Gesamtsystems (sogenannter „Tail Pipe Emission Approach“), steht dem Klimaschutz, bei dem für unseren Planeten nur reale CO2-Reduktionen im Gesamtsystem zählen, massiv im Wege.